Erstzertifizierung von „Legacy-Produkten“ nach der neuen Verordnung (EU) 2017/745

PM QM 3/2020, S. 166-169 + 185-190
Für stoffliche Medizinprodukte wie Nasen- und Rachensprays, Augen- und Ohrentropfen, topische Produkte, Produkte zur Inhalation und Produkte zur oralen, rektalen oder vaginalen Applikation führt die MDR zu maßgeblichen Änderungen. Einerseits erfahren diese Produkte durch die MDR regulatorische Rechtssicherheit, andererseits führt die MDR für diese Produkte zu deutlich höheren Anforderungen im Vergleich zur MDD. Hierbei sind insbesondere die Aspekte Klassifizierung, Biokompatibilitätsbewertung und klinische Bewertung zu beachten, um MDD-konforme Produkte (Legacy-Produkte) unter Berücksichtigung der Übergangsfristen erstmals nach der MDR zertifizieren zu lassen, respektive erstmalig eine Konformitätserklärung nach MDR zu erstellen.

erschienen in: PM QM Fachzeitschrift für pharmazeutische Medizin und Qualitätsmanegement 3/2020 S. 166-169 + 185-190

1. Übergangsfristen für Legacy-Produkte

Ursprünglich sollte die MDR ab dem 26. Mai 2020 angewendet werden. Aufgrund des Ausbruchs der Corona-Pandemie wurde der Anwendungstag der MDR auf Basis der Verordnung (EU) 2020/561 Änderung der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte hinsichtlich des Geltungsbeginns einiger ihrer Bestimmungen auf den 26. Mai 2021 verschoben. Die einjährige Verschiebung gilt dabei nicht für die verlängerten Übergangsfristen gemäß Art. 120, Abs. 3 MDR sowie der zusätzlichen Abverkaufsfrist gemäß Art. 120, Abs. 4 MDR. Legacy-Produkte, welche vor dem 26. Mai 2020 ein gültiges MDD-Zertifikat erhalten haben, dürfen demnach bis zum Ablauf des gültigen Zertifikats erstmalig in Verkehr gebracht werden, längstens aber bis zum 26. Mai 2024. Selbiges gilt für Legacy-Produkte der Risikoklasse I, für die vor dem 26. Mai 2021 eine gültige Konformitätserklärung ausgestellt worden ist und welche aufgrund der neuen Klassifizierungsregeln der MDR zukünftig unter Einbindung einer benannten Stelle in eine höhere Risikoklasse eingestuft werden müssen. Für alle MDD-konformen Legacy-Produkte gilt zudem, dass diese nach dem erstmaligen Inverkehrbringen und unabhängig von einer etwaigen Restlaufzeit bestehender MDD-Zertifikate bis zum 27. Mai 2025 abverkauft werden dürfen. Entscheidend dabei ist es, dass die Legacy-Produkte nach Ablauf der MDD-Zertikate, respektive nach dem 26. Mai 2024 nicht mehr in der Verfügungsgewalt des Herstellers sind. Legacy-Produkte, welche bis zum 27. Mai 2025 nicht in Betrieb genommen, respektive an Patientinnen und Patienten und Gesundheitseinrichtungen etc. abgegeben worden sind, müssen nach derzeitiger Einschätzung vom Handel zurückgezogen werden.

2. Etablierung stofflicher Medizinprodukte

Mit der MDR ist eine überfällige Klarstellung in Bezug auf stoffliche Medizinprodukte erfolgt. Produkte aus Stoffen und Zubereitungen aus Stoffen sind in den letzten Jahren bereits deshalb von Behörden und anderen Marktteilnehmern regelmäßig hinsichtlich ihrer Verkehrsfähigkeit als Medizinprodukt angezweifelt worden, weil sie keine gegenständlichen Produkte waren. Juristisch fragwürdige Auslegungen der Zweifelsfallregel gemäß Art. 2, Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/ EG über Humanarzneimittel (Medicinal Product Directive – MPD) und der regelmäßige Verweis auf die sogenannten Präsentationsarzneimittel gemäß Art. 1, Abs. 2a MPD haben in der Vergangenheit zu einer großen Verunsicherung bei Herstellern, Benannten Stellen und zuständigen Behörden geführt.

Eine weitere Ursache der Unklarheit war und ist das Fehlen von Legaldefinitionen der Begriffe pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung. Zwar bietet die rechtlich unverbindliche europäische Leitlinie MEDDEV 2.1/3, rev. 3 (2009) Begriffsdefinitionen an, diese sind aber mitunter nicht eindeutig und führen daher oft zu Missverständnissen. Die Arbeitsgruppe Borderline & Classification der Medical Devices Coordination Group (MDCG) arbeitet derzeit an einer Neufassung der MEDDEV-Leitlinie 2.1/3, rev. 3. Dabei wird in der Arbeitsgruppe bereits seit vielen Jahren kontrovers über eine wissenschaftlich plausible Auslegung der Begriffe pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung diskutiert.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 3. Oktober 2013 in der Sache C-109/12 ungewollt eine bemerkenswerte Erklärung dafür gegeben, warum bis heute auf europäischer Ebene kein Konsenz zu belastbaren Definitionen besteht. Der EuGH hat nämlich die Frage, ob ...

„eine Definition in einem Mitgliedstaat gemäß der Richtlinie 93/42, mit der ein Produkt gemäß dieser Richtlinie als Medizinprodukt oder Zubehör angesehen wird und mit einer CE-Kennzeichnung versehen ist, die zuständige nationale Behörde eines anderen Mitgliedstaats daran <hindert>, das betreffende Erzeugnis auf der Grundlage seiner pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkungen als Arzneimittel gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchstabe b der Richtlinie [2001/83] zu definieren?“

... überraschenderweise mit nein beantwortet und diese Entscheidung unter anderem damit begründet, dass ...

„Asymmetrien bei wissenschaftlichen Informationen, neue wissenschaftliche Entwicklungen und unterschiedliche Bewertungen der Risiken für die menschliche Gesundheit und das gewünschte Schutzniveau erklären <können>, warum die zuständigen Behörden zweier Mitgliedstaaten unterschiedliche Entscheidungen über die Einstufung eines Erzeugnisses treffen.“

Somit wird es für eine harmonisierte Auslegung der MDR-Anforderungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union darauf ankommen, die genannten Asymmetrien aufzulösen und dabei auch mitunter politisch motivierte Einstufungen durch die konsequente Anwendung der regulatorischen Systematik auf Basis wissenschaftlicher Fakten zu korrigieren.

Durch die Aufnahme in die MDR von Produkten, die aus Stoffen und Zubereitungen aus Stoffen bestehen, ist nunmehr deren Existenz regulatorisch verankert. Die MDR weist an verschiedenen Stellen auf diese Produktgruppe hin. Neben der Erweiterung der Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen (General Safety and Performance Requirements – GSPR) gemäß Anhang I, Abs. 12.2 MDR wurde für stoffliche Medizinprodukte gemäß Anhang VIII, Regel 21 MDR eine eigenständige Klassifizierungsregel eingeführt. Zudem beinhaltet das Konformitätsbewertungsverfahren für stoffliche Medizinprodukte gemäß Anhang IX, Abs. 5.4 MDR einen produktspezifischen Verfahrensteil, der bei Produkten, welche systemisch vom Körper aufgenommen werden müssen, um ihre Zweckbestimmung zu erreichen, zudem eine Konsultation einer nationalen Arzneimittelbehörde der Mitgliedstaaten oder der Europäischen Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency – EMA) erfordert.

3. Stoffbegriff gemäß Anhang VIII Regel 21 MDR

Die Klassifizierung von Produkten, die aus Stoffen und Zubereitungen aus Stoffen bestehen, erfolgt zukünftig gemäß Anhang VIII Regel 21 MDR:

Produkte, die aus Stoffen oder Kombinationen von Stoffen bestehen, die dazu bestimmt sind, durch eine Körperöffnung in den menschlichen Körper eingeführt oder auf die Haut aufgetragen zu werden und die vom Körper aufgenommen oder lokal im Körper verteilt werden, werden wie folgt zugeordnet: – der Klasse III, wenn sie oder ihre

Metaboliten systemisch vom menschlichen Körper aufgenommen werden, um ihre Zweckbestimmung zu erfüllen;

– der Klasse III, wenn sie ihre Zweckbestimmung im Magen oder im unteren Magen-Darm-Trakt erfüllen und wenn sie oder ihre Metaboliten systemisch vom menschlichen Körper aufgenommen werden;

– der Klasse IIa, wenn sie auf
die Haut aufgetragen werden oder in der Nasenhöhle oder der Mundhöhle bis zum Rachen angewandt werden und ihre Zweckbestimmung an diesen Höhlen erfüllen und

– der Klasse IIb in allen anderen Fällen.

Für die Hersteller von Legacy-Produkten hat die neue Klassifizierungsregel insofern eine unmittelbare Auswirkung, als dass unter der MDD stoffliche Medizinprodukte mit intendierten Zweckbestimmungen auf unverletzter Haut, in Nasen- und Mundhöhle sowie im Gehörgang regelmäßig in die Risikoklasse I gemäß Anhang IX, Regel 1 oder Regel 5 MDD eingestuft worden sind. Zukünftig erfordern diese Produkte aufgrund ihrer Hochklassifizierung die Einbindung einer Benannten Stelle. was aufgrund der stark limitierten Kapazitäten der Benannten Stellen für viele Hersteller von Legacy-Produkten eine hohe Hürde darstellt.

Sofern die systemische Aufnahme der Produkte die Voraussetzung zum Erreichen der Zweckbestimmung ist, unterliegen diese Produkte zudem den in Abschnitt 2 erwähnten Konsultationsverfahren bei einer Arzneimittelbehörde der Mitgliedsländer oder der EMA. Legacy-Produkte sollten hiervon zunächst nicht betroffen sein, da es schlichtweg keine stofflichen Medizinprodukte gibt, die unter den ersten Spiegelstrich von Anhang VIII, Regel 21 MDR fallen. Hier wurde vom Gesetzgeber bereits höchst vorsorglich für zukünftige innovative Produktentwicklungen der regulatorische Rahmen definiert.

Eine offene Frage für die Anwendung von Anhang VIII, Regel 21 MDR ist, ob sich der Stoffbegriff auf den für die Erreichung der Zweckbestimmung verantwortlichen Wirkstoff bezieht oder auf das gesamte Produkt. Diese Frage hat insbesondere bei der Anwendung des 2. Spiegelstrichs eine hohe Relevanz. Sofern alle Stoffe des Produkts von dem Spiegelstrich erfasst werden, würde bereits die Resorption von Wasser aus einer wässrigen Simethikon-Lösung zur Behandlung von Meteorismus zu einer Einstufung als Hochrisikoprodukt der Klasse III führen, auch wenn der Wirkstoff Simethikon selbst gar nicht resorbiert wird.

Dass das letztlich nicht sinnvoll und so auch nicht gemeint ist, lässt sich aus dem Erwägungsgrund 59 der deutschen Übersetzung der MDR ableiten:

Die für invasive Produkte im Rahmen der alten Regelung angewandten Vorschriften tragen dem Grad der Invasivität und der potenziellen Toxizität bestimmter Produkte, die in den menschlichen Körper eingeführt werden, nicht ausreichend Rechnung. Um eine geeignete risikobasierte Klassifizierung von Produkten zu erhalten, die aus Stoffen oder Kombinationen von Stoffen bestehen, die vom menschlichen Körper aufgenommen oder lokal im Körper verteilt werden, müssen spezifische Klassifizierungsregeln für diese Produkte eingeführt werden. Die Klassifizierungsregeln sollten der Stelle, an der das Produkt seine Wirkung im oder am menschlichen Körper ausübt oder an der es eingeführt oder angewandt wird, Rechnung tragen und berücksichtigen, ob eine systemische Resorption der Wirkstoffe, aus denen das Produkt zusammengesetzt ist, oder der Produkte des Metabolismus dieser Wirkstoffe im menschlichen Körper erfolgt. (Hervorhebung durch den Autor)

Die Konfusion ergibt sich tatsächlich aus dem englischen Originaltext von Erwägungsgrund 59, in dem eben nicht von „active substances“, sondern nur von „substances“ die Rede ist:

... The classification rules should take into account the place where the device performs its action in or on the human body, where it is introduced or applied, and whether a systemic absorption of the substances of which the device is composed, or of the products of metabolism in the human body of those substances occurs. (Hervorhebung durch den Autor)

Dabei hat die missverständliche Verwendung des Begriffes „Stoff“ anstelle von „Wirkstoff“ im Medizinprodukterecht bereits eine langjährige Vorgeschichte. So gibt es für den Begriff Stoff weder in der MDD noch in der MDR eine Legaldefinition. Während in der konsolidierten Fassung der MDD die Stoffe zumindest Teil der Begriffsbestimmung von Medizinprodukt gemäß Art. 1, Abs. 2a MDD sind, fallen die Stoffe in der MDR wieder wie in der ursprünglichen MDD unter den Sammelbegriff Material.

Art. 1, Abs. 2a MDD (Hervorhebung durch den Autor) „Medizinprodukt“: alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe oder anderen Gegenstände, einschließlich der vom Hersteller speziell zur Anwendung für diagnostische und/ oder therapeutische Zwecke bestimmten und für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinprodukts eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen für folgende Zwecke bestimmt sind:

– Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten;

– Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen;

– Untersuchung, Ersatz oder Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs;

– Empfängnisregelung,
und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.

So heißt es trotz der in Abschnitt 2 beschriebenen Aufnahme der stofflichen Medizinprodukte in Art. 2, Abs. 1 MDR lediglich:

Art. 2, Abs. 1 MDR (Hervorhebung durch den Autor) „Medizinprodukt“ bezeichnet ein Instrument, einen Apparat, ein Gerät, eine Software, ein Implantat, ein Reagenz, ein Material oder einen anderen Gegenstand, das dem Hersteller zufolge für Menschen bestimmt ist und allein oder in Kombination einen oder mehrere der folgenden spezifischen medizinischen Zwecke erfüllen soll:

–  Diagnose, Verhütung, Überwachung, Vorhersage, Prognose, Behandlung oder Linderung von Krankheiten;

–  Diagnose, Überwachung, Behandlung, Linderung von oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen;

–  Untersuchung, Ersatz oder Veränderung der Anatomie oder eines physiologischen oder pathologischen Vorgangs oder Zustands;

–  Gewinnung von Informationen durch die In-vitro-Untersuchung aus dem menschlichen Körper

–  auch aus Organ-, Blut- und Gewebespenden stammenden Proben und dessen bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, dessen Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann. Die folgenden Produkte gelten ebenfalls als Medizinprodukte:

–  Produkte zur Empfängnisverhütung oder -förderung;

–  Produkte, die speziell für die Reinigung, Desinfektion oder Sterilisation der in Artikel 1, Absatz 4 genannten Produkte und der in Absatz 1 dieses Spiegelstrichs genannten Produkte bestimmt sind.

Seitens der MDCG Arbeitsgruppe Borderline & Classification wird derzeit an der Neufassung der MEDDEV-Leitlinie 2.4/1, rev. 9 zur Klassifizierung von Medizinprodukten (2010) gearbeitet. Der Entwurf der neuen Version wurde den Industrieverbänden bereits zur Kommentierung vorgelegt. In Bezug auf die Anwendung von Anhang VIII, Regel 21 MDR wird in dem Entwurf auf die Substanz, die für die Erreichung des beabsichtigten Zwecks des Medizinprodukts verantwortlich ist (= Wirkstoff), verwiesen, was aus wissenschaftlicher Sicht ausdrücklich zu begrüßen ist.

Dabei sind die Wirkstoffe von Produkten gemäß Anhang VIII, Regel 21 MDR nicht zu verwechseln mit den Wirkstoffen gemäß Anhang VIII, Regel 14:

Alle Produkte, zu deren Bestandteilen ein Stoff gehört, der für sich allein genommen als Arzneimittel im Sinne des Artikels 1 Nummer 2 der Richtlinie 2001/83/EG gelten kann, auch wenn es sich um ein Arzneimittel aus menschlichem Blut oder Blutplasma im Sinne des Artikels 1 Nummer 10 der genannten Richtlinie handelt und dem im Rahmen des Medizinprodukts eine unterstützende Funktion zukommt, werden der Klasse III zugeordnet.

Diese Klassifizierungsregel bezieht sich ausdrücklich auf pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch wirkende Mittel, die gemäß der Begriffsdefinitionen von Medizinprodukt in MDD und MDR die Wirkungsweise von Medizinprodukten unterstützen dürfen. In den für diese Stoffe erforderlichen Konsultationsverfahren durch eine Arzneimittelbehörde der Mitgliedsländer oder der EMA sind dann insbesondere die pharmazeutische Qualität und die Sicherheit des Stoffes nach den Vorgaben der MPD zu prüfen. Arzneimittelrechtlich spricht man dabei wiederum vom arzneilichen Wirkstoff (Active Pharmaceutical Ingredient – API).

Wenngleich die MDR in beiden Klassifizierungsregeln also von Stoffen spricht, sind de facto unterschiedliche Stoffe gemeint. Stoffe gemäß Anhang VIII, Regel 21 MDR beziehen sich auf den Wirkstoff, der die intendierte Zweckbestimmung durch nicht pharmakologische, immunologische oder metabolische Weise erreicht und die galenischen Hilfsstoffe, während der Stoff gemäß Anhang VIII, Regel 14 MDR als API eben genau die genannten arzneilichen Wirkungsweisen besitzt.

4. Biokompatibilitätsbewertung für stoffliche Medizinprodukte

Im Rahmen der Erstzertifizierung stofflicher Medizinprodukte gemäß MDR sowie im Zuge der jährlichen Überwachungsaudits sind von der Benannten Stelle bei der Bewertung der technischen Dokumentation die Anforderungen von Anhang IX, Abs. 5.4 MDR zu beachten. Für Legacy-Produkte ist dabei insbesondere Anhang IX, Abs. 5.4a MDR von Bedeutung:

Die Qualität und Sicherheit von Produkten, die aus Stoffen oder Kombinationen von Stoffen bestehen, die dazu bestimmt sind, über eine Körperöffnung in den menschlichen Körper eingeführt oder auf die Haut aufgetragen zu werden und die vom Körper aufgenommen oder lokal im Körper verteilt werden, werden – soweit zutreffend und nur in Bezug auf die Anforderungen, die nicht unter diese Verordnung fallen – gemäß den in Anhang I der Richtlinie 2001/83/EG festgelegten einschlägigen Anforderungen für die Bewertung der Aspekte Resorption, Verteilung, Metabolismus, Ausscheidung, lokale Verträglichkeit, Toxizität, Wechselwirkungen mit anderen Produkten, Arzneimitteln oder sonstigen Stoffen sowie mögliche unerwünschte Reaktionen überprüft.

Mit diesem Verfahren wird durch die Benannte Stelle die Erfüllung der zusätzlichen GSPR gemäß Anhang I, Abs. 12.2 MDR überprüft.

Aus rein regulatorischer Sicht erscheint es unglücklich, die MDR mit der MPD in der vorliegenden Form zu verknüpfen. Während die MDR als Verordnung unmittelbar geltendes Recht für alle Mitgliedstaaten darstellt, wurde die MPD als Richtlinie von den Mitgliedstaaten jeweils in nationales Recht implementiert. Aufgrund der in Abschnitt 2 beschriebenen „Asymmetrien bei wissenschaftlichen Informationen, neue wissenschaftliche Entwicklungen und unterschiedliche Bewertungen der Risiken für die menschliche Gesundheit“ besteht grundsätzlich die Gefahr, dass die Behörden der Mitgliedsländer die richtige Umsetzung der neuen GSPR unterschiedlich bewerten.

Bisher gibt es vom Gesetzgeber keine Leitlinien, wie die Erfüllung der neuen Anforderungen belegt werden soll. Immerhin heißt es in der MDR „soweit zutreffend und nur in Bezug auf die Anforderungen, die nicht unter diese Verordnung fallen“. Mit Blick auf Legacy-Produkte, welche zur überwiegenden Mehrheit aus sehr generischen Produktgruppen bestehen, erscheint diese Einschränkung berechtigt. Bei den Wirkund Hilfsstoffen in Legacy-Produkten handelt es sich in der Regel um Stoffe, die zum Teil seit Jahrzehnten für die jeweiligen Zweckbestimmungen eingesetzt werden. Dass sich eine etwaige Bezugnahme auf Vergleichsprodukte dabei möglicherweise auf zugelassene Arzneimittel stützt, erscheint ausdrücklich gerechtfertigt. Viele der infrage stehenden Legacy-Produkte sind in gleicher oder ähnlicher Form bereits als Arzneimittel in Verkehr gebracht worden, bevor die MDD überhaupt Mitte der Neunzigerjahre in Kraft getreten ist.

Mit der Richtlinie 2004/27/EG zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel wurden zudem erst in 2004 mit der Neufassung der Arzneimitteldefinition die sogenannten Funktionsarzneimittel gemäß Art. 1, Abs. 2b MPD überhaupt rechtlich etabliert.

a) Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder

b) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.“ (Hervorhebung durch den Autor)

Art. 1, Abs. 2b) MPD bezieht sich dabei auf Stoffe, die „die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen“. Exakt diese Stoffe dürfen aber in Medizinprodukten allenfalls eine unterstützende Wirkung haben, während die primäre Zweckbestimmung eben nicht durch pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkungen erreicht werden darf.

Im Erwägungsgrund 7) der Änderungsrichtlinie wird dazu ausgeführt ... Damit zum einen das Entstehen neuer Therapien und zum anderen die steigende Zahl von so genannten „Grenzprodukten“ zwischen dem Arzneimittelbereich und anderen Bereichen Berücksichtigung finden, sollte die Begriffsbestimmung des Arzneimittels geändert werden, um zu vermeiden, dass Zweifel an den anzuwendenden Rechtsvorschriften auftreten, wenn ein Produkt, das vollständig von der Definition des Arzneimittels erfasst wird, möglicherweise auch unter die Definition anderer regulierter Produkte fällt. Diese Definition sollte die Art der Wirkung, die das Arzneimittel auf die physiologischen Funktionen haben kann, spezifizieren. ...

Fällt ein Produkt eindeutig unter die Definition anderer Produktgruppen, insbesondere von Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, Produkten der Medizintechnik, Bioziden oder kosmetischen Mitteln, sollte diese Richtlinie nicht gelten. ... (Hervorhebung durch den Autor)

Somit sind Arzneimittel, welche bereits vor Inkrafttreten der MDD in Verkehr gebracht wurden und deren primäre Zweckbestimmungen eben nicht durch pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkungen erreicht werden, den heutigen stofflichen Medizinprodukten gleichzusetzen. Im Ergebnis ist es somit auch gerechtfertigt, Daten, welche mit solchen äquivalenten Arzneimitteln generiert wurden, für die Sicherheits- und Leistungsbewertung stofflicher Medizinprodukte heranzuziehen.

Für Legacy-Produkte stellt sich damit die Frage, inwieweit die Anforderungen von Anhang I MPD überhaupt zutreffen und welche Anforderungen für die Bewertung der Aspekte Resorption, Verteilung, Metabolisierung, Ausscheidung (Absorption, Distribution, Metabolism and Excretion – ADME), lokale Verträglichkeit, Toxizität, Wechselwirkungen mit anderen Produkten, Arzneimitteln oder sonstigen Stoffen sowie mögliche unerwünschte Reaktionen nicht bereits durch die MDR selbst abgedeckt sind. Gemäß Anhang I, Teil I, Abs. 4.2.2 MPD sind ADME-Untersuchungen für pharmakologisch wirksame Stoffe gefordert, welche in Legacy-Produkten ohne unterstützende Wirkung gar nicht enthalten sind. Zudem müssen die Wirkstoffe der Legacy-Produkte nicht systemisch absorbiert werden, um die Zweckbestimmung der Legacy-Produkte zu erreichen.

Die Sicherheitsbewertung von Wirk- und Hilfsstoffen von Legacy-Produkten sollte im Rahmen der Biokompatibilitätsbewertung erfolgen. In Bezug auf das Gesamtprodukt sind zudem die einschlägigen Vorgaben der harmonisierten Norm EN ISO 10993 Biologische Beurteilung von Medizinprodukten zu beachten. In Abhängigkeit der Anwendungsdauer sind bei der Bewertung Untersuchungen zur Zytotoxizität, Sensibilisierung und Irritation, bei Anwendungen > 30 Tage zudem subchronische Toxizität und Genotoxizität in Erwägung zu ziehen.

Die Biokompatibilitätsbewertung ist gemäß der EN ISO 10993 unter Berücksichtigung des Risikomanagements gemäß der harmonisierten Norm EN ISO 14971 Risikomanagement für Medizinprodukte zu planen und berücksichtigt dabei die verfügbare Literatur. Hierzu heißt es in Anhang C der EN ISO 10993:

Eine solche Literaturbewertung kann hilfreich sein, um zu überprüfen, ob relevante, aus der Literatur verfügbare Daten ausreichend sind, um die biologische Sicherheit des betroffenen Medizinprodukts zu beweisen, ohne die Notwendigkeit, weitere Daten durch Prüfungen zu generieren, oder dass die verfügbaren Daten nicht ausreichend sind.

Ein vergleichbarer Ansatz erscheint auch mit Blick auf die Anforderungen gemäß Anhang IX, Abs. 5.4a MDR in Verbindung mit Anhang I, Abs. 12.2 MDR für Legacy-Produkte angemessen. Es wird zudem empfohlen, zu prüfen, welche Daten im Rahmen einer theoretischen Arzneimittelzulassung der Legacy-Produkte tatsächlich zu erheben wären, insbesondere wenn die infrage stehenden Legacy-Produkte die Anforderungen an eine sogenannte „Well Established Use“ Zulassung oder eine traditionelle Registrierung erfüllen. So ist es eben gerade eine Voraussetzung für eine „Well Established Use“ Zulassung, dass alle relevanten präklinischen Daten zur Sicherheit des infrage stehenden Arzneimittels aus der Literatur abgeleitet werden können, ohne dass weitere Daten erhoben werden müssen.

Zudem wird aufgrund der offenen Fragen zu den neuen Anforderungen ausdrücklich empfohlen, die Interpretation der Anforderungen mit der eingebundenen Benannten Stelle abzustimmen, um relevante Verzögerungen im Zertifizierungsverfahren zu vermeiden.

5. Klinische Bewertung für Legacy-Produkte

Zum Nachweis der klinischen Sicherheit und Leistung von Medizinprodukten sowie zur Bewertung unerwünschter Nebenwirkungen und der Vertretbarkeit des Nutzen-Risiko-Verhältnisses hat der Hersteller eine klinische Bewertung (Clinical Evaluation Report – CER) gemäß Art. 61 MDR in Verbindung mit Anhang XIV, Teil A MDR zu planen, durchzuführen und zu dokumentieren. Der CER-Prozess wird dabei ein integraler Bestandteil des Qualitätsmanagementsystems des Herstellers und ist verknüpft mit den Prozessen zur Produktentwicklung, zum Risikomanagement und zur Marktbeobachtung (Post Market Surveillance – PMS).

Gegenüber der MDD sind dabei insbesondere die Anforderungen an (a) den Äquivalenzansatz für literaturbasierte CER, (b) die Definition klinischer Daten, (c) die regelmäßigen Revisionen des CER, (d) die Berücksichtigung alternativer Behandlungsoptionen und (e) die Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses zu beachten.

a) Sofern ein CER rein literaturbasiert erstellt wird, so ist vom Hersteller gemäß Anhang XIV, Abs. 3 MDR ein hinreichender Zugang zu den Daten des Produkts, für die die Gleichartigkeit (= Äquivalenz) geltend gemacht wird, zu belegen. Im Fall von Klasse III-Medizinprodukten ist dabei gemäß Art. 61, Abs. 4 MDR ein schriftlicher Vertrag mit dem Hersteller des Vergleichsprodukts notwendig, der einen dauerhaften Zugang zur technischen Dokumentation des Vergleichsprodukts gewährleistet. Die Gleichartigkeit ist anhand der in Anhang XIV, Abs. 3 MDR definierten Parameter zur klinischen, biologischen und technologischen Äquivalenz zu begründen.

Mit Blick auf die enorme Heterogenität der Medizinprodukte ist dabei für jede einzelne der ca. 60.000 unterschiedlichen Produktgruppen zu prüfen, wie die Äquivalenzparameter sinnvoll zu interpretieren sind. Die Leitlinie MDCG Clinical Evaluation – Equivalence 2020-5 zeigt Unterschiede der Äquivalenzanforderungen der MDR im Vergleich zu der in 2016 veröffentlichten MEDDEV Leitlinie 2.7/1, rev. 4 zur klinischen Bewertung auf und enthält in Abschnitt 3.2c) spezifische Äquivalenzanforderungen an stoffliche Medizinprodukte. Abschnitt (6) des vorliegenden Artikels enthält einen Vorschlag zur möglichen Äquivalenzbewertung für stoffliche Medizinprodukte.

b) In Bezug auf klinische Daten sind neben den klinischen Prüfungen des Produkts selbst, oder den klinischen Prüfungen von äquivalenten Produkten, in der Begriffsdefinition gemäß Art. 2, Abs. 48 MDR im Peer-Review-Verfahren publizierte Fachartikel sowie klinisch relevante Angaben aus der Marktüberwachung genannt.

Demgegenüber konnten unter der MDD gemäß Art. 1, Abs. 2k) unter anderem auch veröffentlichte oder unveröffentlichte Berichte über sonstige klinische Erfahrungen mit dem betreffenden Produkt oder einem Vergleichsprodukt für den CER verwendet werden.

c) Der CER von Medizinprodukten ist gemäß Art. 61, Abs. 11 MDR regelmäßig zu aktualisieren. Dabei werden die Ergebnisse der Marktbeobachtung und der ebenfalls regelmäßig zu aktualisierenden Berichte über die Sicherheit (Periodic Safety Update Report – PSUR) gemäß Art. 86 MDR berücksichtigt. PSURs sind für Klasse IIa-Produkte alle zwei Jahre und für Klasse IIbund Klasse III-Produkte jährlich zu erstellen.

d) Gemäß Art. 61, Abs. 3c MDR sind im CER alternative Behandlungsoptionen zu berücksichtigen.

e) Unter Berücksichtigung aller verfügbaren klinischen Daten und der alternativen Behandlungsoptionen ist zu bewerten, inwieweit das Nutzen-Risiko-Profil des eigenen Produkts das (weitere) erstmalige Inverkehrbringen rechtfertigt.

Der Prozess des CER (siehe Abbildung 1) umfasst die fünf Phasen der Planung (Phase 0), der Identifikation der klinischen Daten (Phase 1), der Bewertung der klinischen Daten (Phase 2), der Analyse der bewerteten klinischen Daten (Phase 3) und der Erstellung des finalen Berichts, in dem die ausreichende Sicherheit und Unbedenklichkeit des Produkts (Sufficient Clinical Evidence) bestätigt wird (Phase 4). Der finale Bericht enthält dabei auch einen Abschnitt zum PMS-Plan und zum Post Market Clinical Follow (PMCF) Plan.

Sofern in Phase 4 die Sicherheit und Unbedenklichkeit des Produkts nicht bestätigt werden können, so besteht die Möglichkeit, die fehlenden Daten durch geeignete Maßnahmen beizubringen. Zu diesen Maßnahmen zählen neben der prospektiven Placebo-kontrollierten Doppelblind-Goldstandard-Studie auch einfachere Maßnahmen wie die Auswertung aus PMS Erfahrungen mit dem eigenen Produkt oder vergleichbaren Produkten, In-vitro-Untersuchungen oder PMCF-Studien. Die Auswahl der Maßnahmen ist wissenschaftlich zu begründen und die Planung, Durchführung und Dokumentation der Maßnahmen müssen einem qualifizierten Prozess unterliegen.

Sollten nach Durchführung der Maßnahmen die generierten Daten weiterhin nicht ausreichen, um die Sicherheit und Unbedenklichkeit des Produkts zu belegen, sind etwaige Produktmodifikationen zu prüfen. Bei stofflichen Medizinprodukten könnten beispielsweise Produktaussagen reduziert oder eine Änderung in der Formulierung des Produkts vorgenommen werden. Dabei ist zu beachten, dass nach einer Produktmodifikation der CER-Prozess ggf. neu zu starten ist.

Der CER Plan (Phase 0) ist als eigenständiges Dokument in der technischen Dokumentation zu hinterlegen. Die Phasen 1 bis 4 können hingegen im finalen Bericht zusammengefasst werden.

Hinsichtlich des CER für Legacy-Produkte wurde im April 2020 seitens der MDCG die Leitlinie MDCG 2020-6 Regulation (EU) 2017/745: Clinical evidence needed for medical devices previously CE marked under Directives 93/42/EEC or 90/385/EEC publiziert. Demnach ist die in der MDR nicht näher definierte sufficient clinical evidence wie folgt zu verstehen:

Unter „ausreichenden klinischen Nachweisen“ wird „das vorliegende Ergebnis der qualifizierten Bewertung verstanden, die zu dem Schluss gelangt ist, dass das Gerät sicher ist und den beabsichtigten Nutzen erzielt“.

Frei übersetzt aus “sufficient clinical evidence” is understood as “the present result of the qualified assessment which has reached the conclusion that the device is safe and achieves the intended benefits”.

Gemäß MDCG wird den Legacy-Produkten zugestanden, dass die Anforderungen zum Nachweis der sufficient clinical evidence in der MDD andere waren, als sie nunmehr die MDR fordert. Ausgehend von der Grundannahme, dass Legacy-Produkte ein Konformitätsbewertungsverfahren nach MDD durchlaufen haben, sollen die PMS Daten zusammen mit den klinischen Daten des ursprünglichen CER unter MDD die Basis für den CER unter MDR darstellen. Für die Konformität mit den MDR-Anforderungen kann es dabei erforderlich sein, noch während der verbleibenden Übergangszeiten eine PMCF-Studie durchzuführen, welche dann vollumfänglich für den CER gemäß MDR genutzt werden kann.

Der Prozess für die Legacy-Produkte ist dabei der gleiche wie für neue Produktentwicklungen unter der MDR, d. h. die fünf Phasen des CER sind auch für Legacy-Produkte durchzuführen. Startpunkt ist die Planung einer Revision des aktuellen MDD-konformen CER. In Phase 4 sind im Bericht etwaige Lücken zur MDR-Konformität aufzuzeigen, welche dann mit geeigneten Maßnahmen geschlossen werden können. Hierzu wird in der MDCG-Leitlinie ausgeführt:

Hersteller sollten eine Lückenanalyse in Bezug auf die MDR-Anforderungen durchführen. Wenn Datenlücken identifiziert wurden, gibt es verschiedene Möglichkeiten, diese Lücken zu schließen. Während kontrollierte klinische Untersuchungen die bevorzugte Methode zur Erfassung klinischer Daten im Rahmen der PMCF-Studien für einige Produkte sein könnten, gibt es andere Möglichkeiten, relevante klinische Daten vor Ort zu sammeln, um die Lücke klinischer Daten zu schließen.

[...]

In einigen Fällen kann es erforderlich sein, dass der Hersteller PMCF durchführt, um neue Daten für diese Legacy-Produkte vor der CE-Kennzeichnung gemäß MDR zu generieren, während dies in anderen Fällen, insbesondere bei Pflegeprodukten mit geringem Risiko, bei denen sich der Stand von Wissenschaft und Technik kaum entwickelt hat, möglich sein kann, die Konformität mit den relevanten GSPRs mit einem begrenzteren klinischen Datensatz nachzuweisen.

Frei übersetzt aus „Manufacturers should conduct a gap analysis with respect to the MDR requirements. If data gaps have been identified, there are different possibilities to bridge those gaps. While controlled clinical investigations might be the preferred method for collecting clinical data as part of the PMCF studies for some products, there are other possibilities to gather relevant clinical data in the field in order to close the clinical data gap.

[...]

In some cases, it may be necessary for the manufacturer to undertake PMCF to generate new data for these legacy devices prior to CE marking under the MDR, whereas in other cases, particularly for low risk standard of care devices where there is little evolution in the state-of-the-art, it may be possible to demonstrate conformity with the relevant GSPRs with a more limited clinical data set.“

Schlussendlich öffnet die MDCG-Leitlinie für Legacy-Produkte unter Berücksichtigung der Markterfahrungen eine Option, mit einem vernünftigen Aufwand etwaige Lücken zur MDR-Konformität zu schließen. Welche Maßnahmen letztlich geeignet sind, hängt dabei unter anderem von der Interpretation der Äquivalenz zu anderen Produkten ab, da in Abhängigkeit der Auslegung der Äquivalenzkriterien ein ungleich breiteres Spektrum an geeigneter Literatur verfügbar sein kann als bei einer sehr engen Auslegung.

6. Bewertung der Äquivalenz von stofflichen Medizinprodukten

Die Parameter zur Bestimmung der Vergleichbarkeit zweier Produkte werden anhand der technischen, biologischen und klinischen Merkmale der Produkte gemäß Anhang XIV, Abs. 3 MDR ermittelt. Während dabei die technischen Merkmale der Produkte beispielsweise hinsichtlich Bauart, Anwendungsbedingungen, Spezifikationen und Eigenschaften ähnlich sein müssen, wird bei den biologischen Merkmalen auf die gleichen Materialien und Stoffe Bezug genommen, die mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen. Bezüglich der klinischen Merkmale fordert die MDR dann die gleichen klinischen Bedingungen, den gleichen klinischen Zweck und den gleichen Anwender bei ähnlichen Patientenpopulationen sowie ähnlichen Leistungen mit Blick auf die erwartete klinische Wirkung.

Mit Blick auf Legacy-Produkte erscheinen dabei insbesondere die biologischen Merkmale die entscheidende Hürde für den Äquivalenznachweis darzustellen. In der bereits zitierten MDCG-Leitlinie 2020-5 zur Äquivalenz wird bezüglich stofflicher Medizinprodukte zu Äquivalenz gefordert, dass die Stoffe von Produkt und Vergleichsprodukt die gleichen sind. An dieser Stelle wird verwiesen auf die Diskussion zum Stoffbegriff in Abschnitt (3) hinsichtlich der Bezugnahme von Anhang VIII, Regel 21 MDR auf den Wirkstoff. Sofern mit der MDCG-Leitlinie gemeint ist, dass alle Inhaltstoffe identisch sein müssen, ist es nahezu ausgeschlossen, Äquivalenzprodukte für Legacy-Produkte zu identifizieren, da die Hilfsstoffzusammensetzung von zwei Produkten mit der gleichen Zweckbestimmung in den meisten Fällen voneinander abweicht. Eine derartige Forderung würde zudem weit über die Anforderungen zur Zulassung von Arzneimitteln hinausgehen, bei denen generische Wirkstoffe mit üblichen pharmazeutischen Hilfsstoffen in der Regel rein Literatur basiert bewertet werden.

Stoffliche Medizinprodukte werden überwiegend von (Lohn-)Herstellern produziert, die ansonsten Arzneimittel herstellen und dabei üblicherweise monographierte Wirkund Hilfsstoffe verarbeiten. Im Einklang mit Art. 5, Abs. 2 MDD bzw. Art. 8, Abs. 2 MDR ist das europäische Arzneibuch als harmonisierte Norm anerkannt und als Nachweis zur Erfüllung der einschlägigen GSPR geeignet. Somit erscheint der Bezug auf den Wirkstoff eine angemessene Anforderung an die Äquivalenz, während in Bezug auf Hilfsstoffe zunächst geprüft werden sollte, welchen Einfluss diese auf die Leistung und Sicherheit des Wirkstoffes überhaupt haben.

Die beiden weiteren Aspekte der MDCG-Leitlinie hinsichtlich stofflicher Medizinprodukte beziehen sich auf die in Abschnitt (4) beschriebenen pharmakokinetischen und toxikologischen Daten sowie auf das Konsultationsverfahren bei stofflichen Medizinprodukten gemäß Anhang VIII, Regel 21, 1. Spiegelstrich MDR, die auch dann durchzuführen sind, wenn ein literaturbasierter CER unter Bezug auf ein Äquivalenzprodukt erstellt worden ist.

Sofern in dem CER auf ein Vergleichsprodukt Bezug genommen wird, ist die Vergleichbarkeit angemessen zu begründen. Für stoffliche Medizinprodukte bietet der Entscheidungsbaum gemäß Abbildung 2 eine mögliche Entscheidungshilfe. Hierbei werden jeweils drei MDR-konforme Parameter für die klinische, biologische und technische Äquivalenz mit dem Vergleichsprodukt abgeglichen.

Sofern die klinischen Parameter C-1, C-2 und C-3 sowie der Wirkstoff (B-1) nicht gleich sind, ist keine Äquivalenz gegeben. Selbiges gilt bzgl. eines nicht ähnlichen Wirkmechanismus (T-1). Hingegen können Unterschiede bei den Hilfsstoffen (B-3), der Anwendungsmethode (T-2) und dem Design, den Spezifikationen und Eigenschaften (T-3) zunächst hinsichtlich ihrer tatsächlichen Relevanz für die Sicherheit und Leistung des Gesamtprodukts bewertet werden. Sofern anhand geeigneter Methoden nachgewiesen werden kann, dass die Unterschiede keinerlei Einfluss haben, ist von einer ausreichenden Äquivalenz auszugehen.

So kann beispielsweise bei einer unterschiedlichen Hilfsstoffzusammensetzung Simethikon-haltiger Produkte zur Behandlung von Meteorismus in qualifizierten Magen-Darm-Modellen das Freisetzungsverhalten des Wirkstoffes und die nachfolgende Entschäumungsaktivität in vitro gemessen werden. Wird dabei eine vergleichbare Wirkung der beiden Produkte belegt, so kann angenommen werden, dass die Wirkung in vivo ebenfalls vergleichbar ist. Infolgedessen sollte dann die Bezugnahme auf klinische Daten des Vergleichsprodukts möglich sein. Analog dazu können unterschiedliche Hilfsstoffzusammensetzungen bei Filmbildnern, zum Beispiel am Auge zur Befeuchtung oder im Rachen zur Schutzfilmbildung gegen äußere Einwirkungen, in Bezug auf die Filmbildung oder Adhäsion in vitro bestimmt werden.

Derartige Modelle können bereits für sich alleine die in Abschnitt (5) zitierten anderen Möglichkeiten, relevante klinische Daten vor Ort zu sammeln, um die Lücke klinischer Daten zu schließen, darstellen. In jedem Fall sind sie als unterstützende Daten geeignet, um das Design einer ggf. anschließenden PMCF-Studie, die ihrerseits zum Schließen möglicher Lücken zur MDR-Konformität durchgeführt werden soll, zu begründen.

Schwieriger liegt der Fall bei stofflichen Medizinprodukten der Risikoklasse III, da die MDR hier gemäß Art. 61 eigene klinische Daten fordert, sofern kein schriftlicher Vertrag mit dem Hersteller des Vergleichsprodukts oder keine MDR-konformen klinischen Daten eines eigenen Vergleichsprodukts vorliegen.

Am Beispiel Gelatine-haltiger Schluckkapseln mit Simethikon wird dabei die Schwierigkeit deutlich, wenn ein Gesetzestext ohne Bezug zum tatsächlichen Produktrisiko für alle Medizinprodukte einer Risikoklasse die gleichen Anforderungen vorgibt. Im vorliegenden Fall leitet sich die Risikoklasse III aus dem tierischen Ursprung der Gelatine und Anhang IX, Regel 17 MDD bzw. Anhang VIII, Regel 18 MDR ab. Obgleich Gelatine als Kapselbestandteil bei Arzneimitteln seit Jahrzehnten auf Basis von EDQM-Zertifikaten verwendet wird und im Fall bovinen Ursprungs bei Medizinprodukten zudem ein europäisches Konsultationsverfahren gemäß der Verordnung (EU) 722/2012 über besondere Anforderungen betreffend die in der Richtlinie 90/385/ EWG bzw. 93/42/EWG des Rates festgelegten Anforderungen an unter Verwendung von Gewebe tierischen Ursprungs hergestellte aktive implantierbare medizinische Geräte und Medizinprodukte durchlaufen hat, müssen gemäß MDR trotz erwiesener Sicherheit des Stoffes tierischen Ursprungs eigene klinische Daten für eine MDR-Zertifizierung vorliegen.

Als anderes Beispiel seien Kalziumkarbonat-haltige Produkte zur Behandlung von Sodbrennen genannt. Gemäß Anhang VIII, Regel 21, 2. Spiegelstrich MDR ist ein solches Produkt in die Risikoklasse III einzustufen, da die Kalziumionen nach der Neutralisierung der Magensäure mit hoher Wahrscheinlichkeit im Magen-Darm-Trakt resorbiert werden. Nach arzneimittelrechtlichen Vorgaben darf davon ausgegangen werden, dass Kalziumkarbonat-haltige Produkte eine „Well established Use Zulassung“ bekommen könnten und die klinische Sicherheit und Wirksamkeit rein literaturbasiert belegt werden kann.

Auch hier erscheint die MDR unausgewogen. Es liegt dabei die Vermutung nahe, dass eine Ethik-Kommission für eine klinische Studie mit Kalziumkarbonat kein zustimmendes Votum mit der Begründung abgibt, dass es ethisch nicht zu vertreten sei, klinische Prüfungen an Menschen zu Fragestellungen zu machen, die hinreichend bekannt sind. Tatsächlich spannend wäre in dem Fall die Frage, ob ein derartiges Votum einer Ethik-Kommission als Nachweis der klinischen Sicherheit und Leistung des in Frage stehenden Produkts genutzt werden und damit auf die Durchführung einer klinischen Studie verzichtet werden kann.

7. Priorisierung von und Zeitplanung für Erstzertifizierungen von Legacy-Produkten

Sofern zur Erreichung der MDR-Konformität noch Maßnahmen für Legacy-Produkte umgesetzt werden müssen, gilt es, diese sorgfältig zu planen und dabei mit Blick auf das Portfolio der eigenen Legacy-Produkte die Aktivitäten zu priorisieren. Dabei ist zum einen der Zeitaufwand zur Durchführung der Maßnahmen zu beachten: von der Erstellung des Plans zur Revision eines CER über die Identifikation der bestehenden Lücken zur MDR-Konformität bis zum Abschluss der Maßnahmen und der Einreichung der technischen Dokumentation zum Review bei der Benannten Stelle können schnell bis zu 18 Monate vergehen. Zum anderen ist der Zeitplan für die Erstzertifizierungen mit der Benannten Stelle eng abzustimmen.

Bei der gemeinsamen Informationsveranstaltung der deutschen Medizinprodukteverbände zum MDR-Erfahrungsaustausch der deutschen Industrieverbände am 22. September 2020 wurde von verschiedenen Herstellern, die bereits ihre ersten MDR-Zertifizierungen erhalten haben, berichtet, dass auch für sehr einfache Legacy-Produkte von den benannten Stellen Bearbeitungszeiträume von bis zu neun Monaten benötigt wurden. Hinzu kommt, dass aufgrund der neuen Akkreditierungsvorgaben für die Benannten Stellen im Vergleich zur MDR eine deutlich höhere Anzahl an Prüfungen technischer Dokumentationen erforderlich sind, selbst wenn die Legacy-Produkte alle unter den Anwendungsbereich des gleichen Zertifikats fallen.

Somit ist in Abhängigkeit der vorhandenen klinischen Daten von der Planung des CER bis zur Zertifikatserteilung ein Zeitrahmen von bis zu zwei Jahren nicht unrealistisch. Die Benannten Stellen wiederum müssen neben den MDR-Erstzertifizierungen für alle Bestandskunden mitunter auch noch Kunden von Benannten Stellen einplanen, die ihrerseits keine MDR-Benennung beantragt oder erhalten haben. Von ehemals über 80 Benannten Stellen sind bis Mitte Oktober 2020 erst 17 (!) Stellen nach der MDR benannt und auf der NANDO (New Approach Notified and Designated Organisations) Internetseite der Europäischen Kommission veröffentlicht worden. Zudem müssen die Benannten Stellen neben den MDR-Anforderungen auch bis zum Ende der Übergangsfristen gemäß Art. 120 MDR die MDD-Zertifikate überwachen und die entsprechenden jährlichen Audits durchführen.

Es ist damit zu rechnen, dass die „Bugwelle“ an offenen MDR-Verfahren für Legacy-Produkte zum Ende der Übergangsfristen zu einem ernsthaften Problem für die rechtzeitige Umstellung werden wird.

8. Fazit

Die MDR bietet für stoffliche Medizinprodukte nun eine belastbare Rechtsgrundlage, auf Basis derer Legacy-Produkte wie auch neue Produkte europaweit harmonisiert in Verkehr gebracht werden dürfen. In Bezug auf die richtige Interpretation der Umsetzung der regulatorischen Anforderungen sowie hinsichtlich der Priorisierung und zeitlichen Planung wird Herstellern dringend angeraten, diese Aspekte eng mit ihrer Benannten Stelle abzustimmen.

Letztlich wird mit Blick auf die Erstzertifizierung nach MDR wie auch die anschließenden erhöhten Anforderungen an die PMS- und PMCF-Maßnahmen zu prüfen sein, welche Relevanz die einzelnen Produkte für die Hersteller haben. Dabei ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass neben den produktbezogenen Anforderungen auch ein erhöhter Aufwand für die Aufrechterhaltung des internen Qualitätsmanagementsystems einzuplanen ist.

Ein koordinierter Prozess für die Erstellung der Pläne zur Revidierung des CER und des BER, verbunden mit der zielgerichteten Planung von Maßnahmen zum Schließen etwaiger Lücken und der Umsetzung der Maßnahmen durch qualifizierte Methoden, ggf. unter Einbindung externer Dienstleister, ist für die zielgerichtete Erreichung der MDR-Konformität von hoher Bedeutung.

Herstellern, die erstmals eine Benannte Stelle für ihre Produkte einbinden müssen, sind in besonderem Maße von den bereits bestehenden Kapazitätsengpässen betroffen und haben häufig bereits Schwierigkeiten, überhaupt als Neukunde angenommen zu werden. In solchen Fällen kann das Auslagern der Herstellerverantwortung an einen externen Dienstleister eine Chance darstellen, insbesondere dann, wenn dieser bereits die erforderlichen Anhangzertifikate nach MDD für die infrage stehenden Legacy-Produkte hat und die eingebundene Benannte Stelle auch zukünftig unter der MDR als Benannte Stelle agiert.

In jedem Fall ist nun mit Blick auf die verbleibende Zeit bis zur Anwendung der MDR am 26. Mai 2021, respektive den verlängerten Übergangsfristen bis maximal zum 27. Mai 2025, schnelles Handeln angezeigt.

erschienen in: PM QM Fachzeitschrift für pharmazeutische Medizin und Qualitätsmanegement 3/2020 S. 166-169 + 185-190

Erstzertifizierung von Legacy-Produkten

Weiterempfehlen:  

Info

 

Sprechen Sie uns an!

Unser Servicetelefon +49 251 609350 
+43 1 5321606 

Unsere E-Mail info@diapharm.com

Ich erkläre mich mit der Datenschutzerklärung einverstanden. Bei Meldungen zu den von Diapharm betreuten Produkten stimme ich der Weitergabe an Dritte zu.
X

Wir verwenden Cookies

Wir nutzen Third-Party-Cookies für Nutzungsstatistiken und um unsere Webseite weiter zu verbessern.