Benannte Stellen früh in behördliche Verfahren einbinden

Industrieverband SPECTARIS, pharmazeutische medizin, Mai 2011, S. 116-119
Die deutsche Umsetzung der Änderungsrichtlinie 2007/47/EG führt zu Wettbewerbsnachteilen für die Hersteller von Medizinprodukten und schwächt den Innovationsstandort Deutschland. Anstelle eines im EU-Recht definierten Meldeverfahrens für die Durchführung klinischer Prüfungen von Medizinprodukten ist in Deutschland ein Genehmigungsverfahren eingeführt worden, welches nicht nur einen erhöhten behördlichen Prüfumfang beinhaltet, sondern auch Medizinprodukte umfasst, mit deren klinischer Prüfung gemäß EU-Recht unmittelbar nach der Mitteilung begonnen werden darf. Die frühe Einbindung benannter Stellen vereinfacht das Genehmigungsverfahren klinischer Prüfungen und stärkt den Medizinprodukte-Standort Deutschland.

Das Verfahren zur Genehmigung klinischer Prüfungen von Medizinprodukten in Deutschland gemäß dem „Gesetz über Medizinprodukte“ (Medizinproduktegesetz – MPG) und der ‚Verordnung über klinische Prüfungen von Medizinprodukten‘ (MPKPV) geht weit über die europäischen Anforderungen gemäß der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte (Medical Device Directive – MDD) in ihrer konsolidierten Fassung unter Berücksichtigung der Änderungsrichtlinie 2007/47/EG hinaus. Die de facto Ermächtigung des‚Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte‘ (BfArM) zu Produktauslegungsprüfungen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens stellt den Ansatz des sogenannten New Approach infrage. Dabei ist doch die Einbindung der benannten Stellen in das Genehmigungsverfahren im Einklang mit MDD, MPG und MPKPV möglich. So könnte die Bundesoberbehörde ihre Aufgaben gemäß MPG und MPKPV erfüllen, wobei produktbezogene Prüfungen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens klinischer Prüfungen zeitgleich von den hierfür akkreditierten benannten Stelle durchgeführt würden. Hierdurch würde das Konformitätsbewertungsverfahren wesentlich beschleunigt, ohne dass die Patienten- und Anwendersicherheit Schaden nimmt. Im Ergebnis wären die Medizinprodukte schneller am Markt verfügbar.

Die Implementierung der Änderungsrichtlinie 2007/47/EG in deutsches Recht erfolgte mit der 4. MPG Novelle vom 29. Juli 2009. Seit dem 21. März 2010 gelten die Anforderungen §§ 19–24 MPG zur Durchführung klinischer Prüfungen. Wesentliche Änderungen der 4. MPG Novelle umfassen dabei

  • die Einführung der Legaldefinition des Sponsors gemäß § 3 Nr. 23 MPG,
  • die Änderungen im Verfahren mit der Ethik-Kommission gemäß §22MPG,
  • die Etablierung eines Genehmigungsverfahrens für klinische Prüfungen durch die Bundesoberbehörde gemäß § 22a–22c MPG,
  • die Änderungen hinsichtlich des Meldewesens von Serious Adverse Events (SAEs).

Basierend auf der Verordnungsermächtigung gemäß § 37 Abs. 2a MPG wurde seitens des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) am 10. Mai 2010 die MPKPV erlassen.

Seitens der Industrieverbände sind sowohl im Gesetzgebungsverfahren zur 4. MPG Novelle als auch in der Vorbereitungsphase der MPKPV erhebliche Bedenken dahingehend geäußert worden, dass die Neuregelungen des Medizinprodukte-Rechts die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Medizinprodukte-Industrie schwächen und den Ansatz des New Approach infrage stellen. Der bürokratische Aufwand sei höher als durch die EU-Richtlinien vorgegeben, ohne dass hierdurch mehr Sicherheit für den Patienten erreicht würde. Ferner würden die Zeiten und Kosten bis zur Zulassung steigen, Innovationen später am Markt sein und Patienten müssten länger auf Neuerungen warten.

Aufgrund der weniger rigiden Umsetzung der EU-Richtlinien im europäischen Ausland (z.B. in Österreich) sei zu befürchten, dass zukünftig weniger klinische Prüfungen von Medizinprodukten in Deutschland durchgeführt würden, klinische Zentren weniger in die Umsetzung innovativer Technologien eingebunden seien und der Hightech-Standort Deutschland einen Imageverlust erleide.

Insbesondere hinsichtlich des Verfahrens zur Genehmig klinischer Prüfungen durch das BfArM ist festzustellen, dass Deutschland deutlich über die EU-Vorgaben hinausgeht.

Die vergleichende Gegenüberstellung der Melde- respektive Genehmigungsverfahren gemäß MDD und MPKPV verdeutlicht, dass in Deutschland nach der MPKPV deutlich mehr klinische Studien von Medizinprodukten einer Genehmigung bedürfen als es die MDD vorgibt.

So unterliegen klinische Prüfungen gemäß MDD nur für invasive Medizinprodukte der Risikoklassen IIa und IIb bei langfristiger Anwendung sowie für Medizinprodukte der Klasse III einer Frist von 60 Tagen, innerhalb derer die zuständige Behörde eine auf Gründe der öffentlichen Gesundheit oder der öffentlichen Ordnung gestützte gegenteilige Entscheidung mitteilen kann; für alle anderen Medizinprodukte reicht neben der Mitteilung gemäß Anhang X MDD das positive Ethik-Votum aus.

Demgegenüber sind klinische Prüfungen in Deutschland gemäß MPKPV für alle invasiven Medizinprodukte der Klasse IIa, IIb und III sowie für alle nicht invasiven Produkte der Klasse IIb und III genehmigungspflichtig. Für alle anderen Medizinprodukte kann eine Ausnahme von der Genehmigungspflicht beantragt werden, wofür Unterlagen gemäß §7 MPKPV einzureichen sind.

Dabei wird aus den ersten Erfahrungsberichten des BfArM seit Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelungen ein zentrales Problem deutlich: in der Zeit vom 21.3.2010 bis zum 13.09.2010 wurden 93 klinische Studien gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 MPG beantragt. Davon wurden 14 Studien genehmigt, 2 Studien versagt und 10 Studien zurückgezogen. 67 Studien befanden sich in der Bearbeitung. Ein vergleichbares Bild ergibt sich für die Beantragung einer Befreiung von der Genehmigungspflicht gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 MPG: von 47 Anträgen wurden 18 Studien genehmigt, 2 Studien versagt und 4 Studien zurückgezogen. 23 Studien befanden sich in der Bearbeitung. Somit ist nicht das Verhältnis der genehmigten zu den versagten Studienanträgen der kritische Aspekt, sondern das Verhältnis der abgeschlossenen zu den offenen Anträgen. Ursächlich hierfür kann der ebenfalls über die EU-Anforderungen hinausgehende Prüfumfang seitens des BfArM sein.

Gemäß Artikel 15 der Richtlinie 93/42/EWG (MDD) wendet der Hersteller oder der in der Europäischen Union (EU) niedergelassene Bevollmächtigte bei Produkten, die für klinische Prüfungen bestimmt sind, das in Anhang VIII genannte Verfahren an und meldet dies anhand der in Anhang VIII Abschnitt 2.2 genannten Erklärung den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, in denen die Prüfungen durchgeführt werden sollen. Der Erklärung sind die Angaben gemäß Anhang VIII Abschnitt 2.2 MDD hinzuzufügen. § 22a MPG setzt diese Anforderung in Form eines Genehmigungsverfahrens um und bezieht sich dazu ebenfalls auf die Angaben gemäß Anhang VIII Abschnitt 2.2 MDD, ebnet aber mit der Ergänzung „Zusätzlich hat der Sponsor alle Angaben und Unterlagen vorzulegen, die die zuständige Bundesoberbehörde zur Bewertung benötigt“ (§ 22a Abs. 1 Satz 3 MPG) und dem Verweis auf die MPKPV den Weg zu einer behördlichen Prüfung der kompletten Produktauslegung. Erschwerend kommt hinzu, dass in Deutschland BfArM und Ethik-Kommission gemäß MPG und MPKPV überschneidende Prüfaufträge haben, ohne dass geregelt ist, wie im Falle unterschiedlicher Bewertungen zu verfahren ist.

Die gemäß §3 Abs 4 MPKPV bereitzustellenden Unterlagen umfassen weitgehend die Dokumente, über die der Antragsteller zwar verfügen muss, die gemäß Anhang VIII Abschnitt 3.2 MDD aber für die zuständige Behörde – das wäre in Deutschland die Landesbehörde – nur bereitzuhalten und nicht Gegenstand des Genehmigungsverfahrens sind. Vielmehr sind diese Unterlagen seitens der benannten Stellen im Konformitätsbewertungsverfahren zu prüfen. Somit wäre die Einbindung der benannten Stellen in die Konformitätsbewertungsverfahren obsolet und der sogenannte New Approach würde de facto ersetzt durch eine behördliche Genehmigung.

Über die Intention des Gesetzgebers hinsichtlich der erhöhten Anforderungen an die Genehmigung klinischer Prüfungen von Medizinprodukten können folgende Gründe angenommen werden:

  1. Das zentrale Genehmigungsverfahren soll in Deutschland zur Harmonisierung bezüglich der klinischen Prüfung führen.
  2. Zu klinischen Prüfungen vorgesehene Medizinprodukte werden im Vorfeld nicht durch eine „neutrale Instanz“ hinsichtlich ihrer Sicherheit bewertet, da die benannten Stellen erst im Konformitätsbewertungsverfahren in die Überprüfung der Einhaltung der Grundlegenden Anforderungen eingebunden sind. Somit ergibt sich zum Patienten- und Anwenderschutz die Notwendigkeit einer behördlichen Prüfung.

Während der erste Grund seitens der Medizinprodukte-Industrie durchaus zustimmend bewertet wird, erscheint der zweite Grund zwar vom Ansatz plausibel, in der Umsetzung aber deutlich verbesserungswürdig. Dabei ist zu bedenken, dass entgegen den Zulassungsverfahren von Humanarzneimitteln die Konformitätsbewertungsverfahren bei Medizinprodukten den Grundsätzen des sogenannten New Approach folgen. Der New Approach wurde für die EU bereits 1985 eingeführt und soll zur Vereinheitlichung der technischen Harmonisierung in Europa dienen. Kennzeichen sind dabei die Harmonisierung der wesentlichen Produktanforderungen, das Prinzip des „Normenverweises“ sowie das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, um die dem freien Warenverkehr entgegenstehenden technischen Hindernisse zu überwinden.

Im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens sind die Grundlegenden Anforderungen der Medizinprodukte zu belegen und im Fall der Risikoklassen Is, Im, IIa, IIb und III seitens einer hierfür vom Gesetzgeber benannten Stelle zu prüfen. Eine behördliche Marktzulassung erfolgt bei Medizinprodukten nicht. Es sei darauf hingewiesen, dass der New Approach durch die Änderungsrichtlinie 2007/47/EG nicht infrage gestellt wurde.

Sofern das Konformitätsbewertungsverfahren unter Einbindung der benannten Stelle schon vor dem Antrag auf Genehmigung einer klinischen Prüfung gestartet wird, kann die benannte Stelle die Produktauslegungsprüfungen bis auf die in der klinischen 1. Prüfung zu untersuchenden Aspekte bereits komplett durchführen und die Einhaltung der Grundlegenden Anforderungen bestätigen. Dieses Vorgehen wäre gedeckt durch die MPKPV, die gemäß §1 für klinische Prüfungen gemäß §§ 20-24 MPG gilt, deren Ergebnisse u.a. verwendet werden sollen zur Durchführung eines Konformitätsbewertungsverfahrens gemäß der ‚Verordnung über Medizinprodukte‘ (Medizinprodukte-Verordnung – MPV).

Am Beispiel bereits CE gekennzeichneter Medizinprodukte, welche auf- 8. grund einer zusätzlichen invasiven Untersuchung ein Verfahren gemäß §7 MPKPV zu durchlaufen haben, ist gemäß § 7 Abs. 2 Nummer 3 MPKPV ein „Nachweis zur Validierung der herstellerseitigen Sterilisationsverfahren“ zu erbringen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Validierung im Konformitätsbewertungsverfahren bereits durch die eingebundene benannte Stelle bewertet wurde und die zusätzliche invasive Untersuchung auf die Produktsterilität keinerlei Einfluss hat. Somit sollte anstelle der Unterlagen zur Sterilisation eine schriftliche Bestätigung der benannten Stelle ausreichend als Nachweis dafür sein, dass die Sterilisationsprozesse den normativen und regulatorischen Anforderungen an das Medizinprodukt entsprechen.

Gemäß § 22a Abs. 2 MPG hat die Bundesoberbehörde anhand des Prüfplans und der erforderlichen Unterlagen zu prüfen, ob die allgemeinen Voraussetzungen zur klinischen Prüfung nach § 20 Absatz 1 Satz 4 Nummer 1, 1a, 5, 6 und 8 MPG erfüllt sind:

  • 1. Vertretbarkeit der Risiken in Bezug auf die Bedeutung für die Heilkunde
  • 1a. Sitz des Sponsors oder seines Vertreters in der EU oder im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)
  • 5. biologische Sicherheitsprüfung nach Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse
  • 6. sofern erforderlich, die sicherheitstechnische Unbedenklichkeit für die Anwendung des Medizinprodukts sowie Arbeitsschutz und Unfallverhütung
  • 8. Prüfplan nach Stand von Wissenschaft und Technik

Sofern sich die Bundesoberbehörde dabei auf die schriftliche Bestätigung der benannten Stelle stützen kann, welche ihrerseits für die Durchführung der entsprechenden Prüfungen akkreditiert wurde, erfüllt die Bundesoberbehörde ihren o.a. Prüfauftrag. Dabei ergeben sich für den Hersteller und/oder Sponsor relevante Vorteile, ohne dass die Sicherheit der Patienten und Anwender hierdurch Schaden nimmt:

  • Vermeidung von Mehrfachprüfungen gleicher Inhalte durch Bundesoberbehörde, Ethik-Kommission und benannte Stelle, sowie damit ggf. verbundene zeitliche Verzögerungen
  • Vermeidung klinischer Prüfungen respektive Prüfungszielen, die aus Sicht der benannten Stelle für ein Konformitätsbewertungsverfahren nicht ausreichend oder nicht notwendig sind
  • Zeitliche Verkürzung des Konformitätsbewertungsverfahrens, da es bei positiv verlaufender Prüfung nach Vorlage des Abschlussberichts abgeschlossen werden kann und nicht dann erst begonnen wird.

Diese Vorteile führen im Ergebnis dazu, dass die Medizinprodukte schneller in Verkehr gebracht werden könnten. Aus den oben genannten Gründen hätte die Bundesoberbehörde dennoch die Anforderungen von MPG und MPKPV durch die Prüfung der Bestätigung der benannten Stelle erfüllt.

Die Einbindung der benannten Stellen in behördliche Genehmigungsverfahren stellt dabei auch keinen europäischen Sonderweg dar. Denn gemäß Art. 9 der Verordnung 1394/ 2007 über neuartige Therapien sind im Antrag auf Zulassung für das Inverkehrbringen von Kombinierten Arzneimitteln für neuartige Therapien die Ergebnisse der seitens einer benannten Stelle durchgeführten Beurteilung des in dem Kombinationsprodukt als festen Bestandteil enthaltenen Medizinproduktes vorzulegen.

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