Positionspapier "Stoffliche Medizinprodukte"

BPI Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V.
Der Begriff der Medizinprodukte ist, wie auch der Arzneimittelbegriff, sogar unter Fachleuten nicht selbsterklärend. Im Allgemeinen verbindet man mit dem klassischen Medizinprodukte-Begriff in erster Linie Hilfsmittel wie Pflaster und Katheter oder Geräte wie Herzschrittmacher und Röntgengeräte.

Medizinprodukte sind gemäß § 3 Nr. 1 des deutschen Medizinprodukte-Gesetzes (MPG) definiert als: "...alle ... Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegenstände..., die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten [...] zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird, ..."

Arzneimittel werden hingegen nach dem Arzneimittelgesetz (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG) wie folgt definiert: "Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, ... die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind..."

Medizinprodukte und Arzneimittel sind somit die einzigen Produkte am europäischen Markt, deren Zweckbestimmung u. a. in der Erkennung und Behandlung von Krankheiten liegt.
Die Definition eines Medizinproduktes ist der für Arzneimittel sehr ähnlich, wobei Medizinprodukte ausschließlich zur Anwendung im oder am Menschen bestimmt sind.
Ein wesentliches Kriterium in der Abgrenzung der beiden Produktgruppen voneinander liegt in der unterschiedlichen Wirkungsweise. Während die Wirkung von Arzneimitteln auf pharmakologische, immunologische bzw. metabolische Weise erzielt wird, erreicht man die Zweckbestimmung bei Medizinprodukten auf anderem Wege.
Medizinprodukte sind also von Arzneimitteln durch ihre Eigenschaften und ihre Funktionsweise eindeutig abzugrenzen.

Was versteht man unter sogenannten stofflichen Medizinprodukten?

Stoffliche (oder arzneimittelähnliche) Medizinprodukte werden gemäß allgemeiner Wahrnehmung zunächst nicht mit dem Begriff „Medizinprodukt“ in Verbindung gebracht, da sie z. B. hinsichtlich ihrer Darreichungsform oder Aufmachung mit Arzneimitteln vergleichbar sind.
Sie erfüllen dennoch die gesetzliche Definition für Medizinprodukte, da sie ihre bestimmungsgemäße Hauptwirkung auf einem anderen als auf pharmakologischem, immunologischem oder metabolischem Wege erreichen.
Beispiele für stoffliche Medizinprodukte sind feste, halbfeste und flüssige Zubereitungen, wie z. B. Lutschtabletten, Ultraschall-Gel, Tränen- oder Speichelersatzflüssigkeiten, die allesamt keine pharmakologische Wirkung auf den Menschen oder dessen Zellen haben, aber dennoch der Erkennung und Behandlung von Krankheiten dienen.

Wie erfolgt die Abgrenzung von Medizinprodukten gegenüber Arzneimitteln?

Die „Erkennung und Behandlung von Krankheiten“ allein ist demzufolge kein Unterscheidungsmerkmal für die Abgrenzung der Produktgruppen. Der Unterschied begründet sich vielmehr in der Wirkungsweise.
Die von Medizinprodukten ist dabei im Gegensatz zu Arzneimitteln nicht überwiegend pharmakologischer, immunologischer oder metabolischer Natur. Da insbesondere der Begriff der pharmakologischen Wirkungsweise nicht eindeutig definiert ist, kommt es häufig zu Abgrenzungsproblemen. Daher ist bei vielen dieser stofflichen Medizinprodukte eine genaue Analyse der Wirkungsweise und der vom Hersteller vorgegebenen Zweckbestimmung erforderlich.
Die Zweckbestimmung eines Produkts wird vom Hersteller festgelegt, wobei die zugrunde liegende Wirkung objektiv mit ihrer wissenschaftlichen Rationale belegt sein muss.

Anhand von Beispielen soll diese Einstufungsproblematik erläutert werden:
Dexpanthenol oder D-Panthenol ist auch dem Laien als Bestandteil von Kosmetika zur Pfege der Haut bekannt. Eine weitere Eigenschaft des Dexpanthenols ist die Wasserbindungskapazität. Somit ist der Bestandteil Dexpanthenol auch in Medizinprodukten zur Befeuchtung der Nase, Haut oder Augenoberfläche zu finden. Daneben wird Dexpanthenol als pharmakologisch wirksame Substanz in einer Konzentration von 5 % oder höher in Arzneimitteln zur Behandlung von Wunden eingesetzt.
Dieses Beispiel zeigt das Spannungsfeld, in dem man sich befindet, d. h. nicht allein die stoffliche Komponente, sondern auch die Zweckbestimmung sind bei der Eingruppierung eines Produktes zu berücksichtigen.
Natriumchlorid, das sowohl in Arzneimitteln (in Infusionslösungen) als auch in Medizinprodukten (in Spüllösungen) eingesetzt wird, ist ein weiteres Beispiel für die oftmals schwierige Abgrenzung zwischen beiden Produktgruppen.
Simeticon oder Polyethylenglycole allgemein sind oberfächenaktive Substanzen, die Gase im Magen-Darmtrakt zusammenfallen lassen und so Blähungen beseitigen. Die chemisch inerten Eigenschaften dieser Stoffe sind als allgemeiner Stand von Wissenschaft und Technik akzeptiert, d. h. eine pharmakologische und metabolische Wirkungsweise scheidet aus. Die Normalisierung physiologischer Prozesse als nachgelagerte Reaktion auf die physikalischen Wirkungsweisen von Medizinprodukten kann – trotz teilweise anderslautender Entscheidungen von Behörden – nicht als Begründung für eine Einstufung des Produktes als Arzneimittel angeführt werden.
Die Beispiele belegen anschaulich, in welch kompliziertem Spannungsfeld man sich bei der Abgrenzung insbesondere zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten bewegt. Aufgrund dieser Tatsache sind Abgrenzungsdiskussionen häufig Gegenstand von rechtlichen Auseinandersetzungen.

Was sind die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten?

Für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten hat der Gesetzgeber einen neuen Ansatz gewählt, bei welchem dem Hersteller die Verantwortung obliegt, nach einem risikobasierten Klassifizierungssystem in Abstufungen eine unabhängige Stelle (sog. Benannte Stellen) mit der Überprüfung der Konformität mit den einschlägigen medizinprodukterechtlichen Vorschriften zu beauftragen.
Medizinprodukte sind im Hinblick auf Funktionalität, Sicherheit und Qualität den Arzneimitteln ebenbürtig. Maßgeblich hierfür ist die Implementierung eines Risikomanagement-Systems in allen Bereichen / Abteilungen des Verantwortlichen Herstellers.

Sicherheit durch Risikomanagement über den gesamten Produkt-Lebenszyklus

Die Regelungen für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten sind in der europäischen Direktive 93/42/EWG festgelegt.
Die Umsetzung in nationales Recht ist im Medizinproduktegesetz (MPG) verankert, das wiederum durch rechtliche Vorschriften, wie beispielsweise die Medizinprodukte-Verordnung und die Medizinprodukte-Sicherheitsplan-Verordnung, konkretisiert ist.
Ergänzt wird dieses regulatorische Netzwerk durch Leitlinien und Harmonisierte Normen, insbesondere durch die Standards zum Qualitätsmanagementsystem für Medizinprodukte nach DIN EN ISO 13485 und zum Risikomanagementsystem gemäß DIN EN ISO 14971 sowie durch die Vigilanz-Leitlinie MEDDEV 2.12.
Die hier genannten Voraussetzungen zum Inverkehrbringen sind nur ein Bruchteil der durchzuführenden Arbeiten im Rahmen der Entwicklung eines Medizinproduktes und sollen insbesondere den risikobasierten Ansatz erläutern.

Pre-Launch: Entwicklungsphase / Risikoanalyse / Risikomanagement-Akte

Grundsätzlich ist die Abwägung von Nutzen und Risiko, das „Risk-to-benefit assessment”, bei der Anwendung von Medizinprodukten ein wesentlicher Teil des Konzeptes bei der Entwicklung und dem Inverkehrbringen dieser Produkte. Ziel ist es, Risiken so früh wie möglich zu erkennen, zu bewerten und zu minimieren.
Um dies zu erreichen, ist als erstes die Zweckbestimmung des Medizinproduktes festzulegen und die zutreffende Risikoklasse zu ermitteln. Die Festlegung der Risikoklassen (Klasse I, II oder III) erfolgt dabei gemäß dem Anhang IX der europäischen Direktive.
Da hierzu bereits Vortests und Recherchen zu den Inhaltsstoffen und zur voraussichtlichen Verweildauer des Produktes am Körper erforderlich sind, stellen diese Erkenntnisse die Basis der Risikoanalyse dar. D. h. es sind bereits bei der Umsetzung einer Produktidee in ein Entwicklungskonzept die Vorgaben der DIN EN ISO 14971 zum Risikomanagementsystem zu beachten. Im Rahmen des Risikomanagements ist die Risikoanalyse über die nachfolgenden Entwicklungsstufen kontinuierlich zu überprüfen und ggf. zu erweitern.
Jede Aktualisierung der Risikoanalyse ist in der Risikomanagement-Akte zu dokumentieren, die über den kompletten Produkt-Lebenszyklus hinweg zu pflegen und zu archivieren ist.
Zur Beurteilung des Risikos sind für jedes Medizinprodukt im Rahmen der Entwicklung Untersuchungen zur Biokompatibilität sowie eine klinische Bewertung durchzuführen.
Handelt es sich bei der Entwicklung um ein Medizinprodukt der Klasse III, so ist die Durchführung von klinischen Prüfungen in bestimmten Fällen verpflichtend.
Seit der Änderung der Direktive 93/42/EWG im März 2010 ist der Nachweis der Gebrauchstauglichkeit und der sicheren Anwendung in den „Grundlegenden Anforderungen“ verankert und somit bei der Konzeption von Medizinprodukten zu beachten.

Launch: Konformitätsbewertungsverfahren / Konformitätserklärung

Als Nachweis, dass die „Grundlegenden Anforderungen“ der Direktive 93/42/EWG, Anhang I, erfüllt sind, ist eine Technische Dokumentation zu erstellen.
Darin sind alle Daten enthalten, etwa die Begründungen für die Klassifizierung, die Liste der angewandten harmonisierten Normen, die aktuelle Risikobewertung, die
Biokompatibilitäts- und klinische Bewertung sowie die letztlich daraus resultierende Gebrauchsanweisung. Des Weiteren ist in der Technischen Dokumentation das Richtlinien-Zertifikat des Herstellers enthalten. Die Technische Dokumentation ist somit Ausdruck der dokumentierten Sicherheit und Funktion des Medizinproduktes.
Mit der Ausstellung der Konformitätserklärung durch den Hersteller wird das Konformitätsbewertungsverfahren für das entwickelte Medizinprodukt abgeschlossen, und der Hersteller darf die CE-Kennzeichnung auf das Produkt aufbringen.

Post-Launch: Jährliches Überwachungsaudit / Post-Marketing-Surveillance-System / Post-Market Clinical Follow-up

Um ein Medizinprodukt nach dem erstmaligen Inverkehrbringen auf dem Markt zu halten, sind weitere sicherheitsrelevante Voraussetzungen zu beachten. So ist z. B. ein funktionierendes, dokumentiertes Beobachtungs- und Meldesystem erforderlich, in dem die Marktbeobachtungsdaten über den gesamten Produkt-Lebenszyklus erfasst und bewertet werden.
Im Falle des Bekanntwerdens von Risiken oder eines Vorkommnisses sind vom Hersteller bzw. dessen Sicherheitsbeauftragten Maßnahmen einzuleiten. Vorkommnisse sind der Bundesoberbehörde zu melden. Entsprechende Anforderungen sind in der Vigilanz-Leitlinie MEDDEV 2.12/1 beschrieben sowie in der Medizinprodukte-Sicherheitsplan-Verordnung geregelt. Im Falle eines Vorkommnisses sind strenge Regelungen zu den Meldefristen einzuhalten.
Die Erkenntnisse aus der Marktüberwachung sind im Post-Marketing-Surveillance-System zu dokumentieren und im Rahmen des Risikomanagements regelmäßig, zumeist jährlich, zu bewerten. Die Ergebnisse dieser Bewertung sind in der Technischen Dokumentation zu implementieren. D. h. neben der Risikoanalyse ist ggf. die klinische Bewertung und / oder die Gebrauchsanweisung zu überarbeiten. Hierzu können weitere Biokompatibilitätstests und Studien notwendig sein. Gemäß der
MEDDEV 2.12/2 ist der verantwortliche Inverkehrbringer verpflichtet zu prüfen, ob ein Post-Market Clinical Follow-up notwendig ist.
Das Vorhandensein eines dokumentierten und „gelebten“ Vigilanz-Systems wird regelmäßig, mindestens einmal jährlich, im Rahmen des Überwachungsaudits zur Aufrechterhaltung des Richtlinien- und / oder DIN EN ISO 13485-Zertifkates durch die Benannte Stelle überprüft.

Fazit: Ein funktionales Sicherheitssystem dank risikobasiertem Ansatz

Das „Risk-to-benefit assessment” findet bereits im Rahmen der Entwicklung des Medizinproduktes, zu verschiedenen Meilensteinen vor sowie nach dem Erst-Inverkehrbringen statt. D. h. alle Erkenntnisse, die sich im Laufe der Entwicklung, aber auch über den gesamten Produkt-Lebenszyklus hinweg, aus der Marktbeobachtung nach erfolgreicher Zertifizierung ergeben, fließen in diese Risikobeurteilung und in die darauf folgenden Maßnahmen zur Minimierung von Risiken ein.
Medizinprodukte weisen somit ein hohes Maß an Sicherheit auf. Dies basiert auf einem ausgefeilten System, in dem ausreichende Maßnahmen zum Schutz der Anwender festgelegt sind und dessen Funktion sowie die Einhaltung der Anforderungen durch den Verantwortlichen Inverkehrbringer regelmäßig durch die Benannte Stelle überwacht werden.

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