Nanomaterial in Medizinprodukten - Großer Aufwand für kleine Teilchen?

15.01.2019 | Dr. Bernhard Weber
Weber

Dr. Bernhard Weber
Associate Director Quality Management

Die neue Medizinprodukte-Verordnung (EU) 2017/745 (MDR) hat auch für Nanomaterial in Medizinprodukten neue Regelungen geschaffen. Teilchen, die gerade mal ein Zehntausendstel Millimeter messen, können nun erheblichen Aufwand erfordern. Die Regelungen sehen eine risikobasierte Herangehensweise vor, die auf der möglichen „internen Exposition“ des Nanomaterials beruht. Niedrige Exposition bedeutet wenig Aufwand – hohe Exposition erfordert umfangreiche Studien. Für die Risikobewertung steht eine wissenschaftliche Leitlinie der EU zur Verfügung. Nanomaterial muss daher nicht gleich das Aus für ein Medizinprodukt bedeuten. Die Ableitung des Expositionsgrades ist allerdings vom Hersteller zu erbringen. Wir erklären, was dafür zu tun ist.

Neue Perspektiven oder neue Risiken?

Nanomaterialien bieten vielfältige Chancen neue Produkte mit besserem Nutzen für Mensch und Umwelt zu entwickeln. Teilchen in Nanomaßstab besitzen oft neuartige optische, mechanische, elektrische oder thermische Eigenschaften. Nanomaterialien sind daher Gegenstand intensiver Forschung, auch in Bezug auf ihre Sicherheit. Der EU-Gesetzgeber sieht dies jedoch noch nicht ausreichend wissenschaftlich erarbeitet. Er hat daher in der MDR neue Regelungen für Medizinprodukte mit Nanomaterial eingeführt.

Definition mit Tücken

Die Textstellen zu Nanomaterial in der MDR sind in dem sonst so umfangreichen Dokument recht überschaubar. Dafür sind die Anforderungen sehr konkret. Kurz, aber kräftig, so lässt sich das zusammenfassen.

Aufgenommen wurde zunächst eine Definition von Nanomaterial, die auf der Empfehlung 2011/696/EU der Kommission basiert. Danach ist Nanomaterial definiert als:

  • ein natürliches, bei Prozessen anfallendes oder hergestelltes Material,
  • das Partikel in ungebundenem Zustand, als Aggregat oder als Agglomerat enthält
  • und bei dem mindestens 50 % der Partikel in der „Anzahlgrößenverteilung“ ein oder mehrere Außenmaße im Bereich von 1 nm bis 100 nm haben.

In der Definition ist insbesondere der Begriff „Anzahlgrößenverteilung“ zu beachten. Ein pulverförmiges Material, das in der Korngrößenverteilung ggf. nur einen geringen Anteil im Nanometerbereich hat, kann dennoch in der Anzahlgrößenverteilung über 50 % kommen, denn relevant ist nicht der Gewichtsanteil, sondern die Anzahl. Und sehr kleine Teilchen bedeutet: sehr viele Teilchen.

Neue Regel für neuartiges Material

Nanomaterial erhält in der MDR jetzt erstmals eine eigene Klassifizierungsregel. Regel 19 lautet:

Alle Produkte, die Nanomaterial enthalten oder daraus bestehen, werden wie folgt zugeordnet:

  • der Klasse III, wenn sie ein hohes oder mittleres Potenzial für interne Exposition haben
  • der Klasse IIb, wenn sie ein niedriges Potenzial für interne Exposition haben, und
  • der Klasse IIa, wenn sie ein unbedeutendes Potenzial für interne Exposition haben.

Die Klassifizierungsregel wirft sofort einige Fragen auf. Was bedeutet interne Exposition? Und wie legt man fest, was hohe, mittlere, niedrige und unbedeutende Exposition ist? Hier scheint Streit über die Auslegung der Regel vorprogrammiert.

Dazu muss es nicht kommen. Vorgaben gibt es in einer Leitlinie der EU: „Guidance on the Determination of Potential Health Effects of Nanomaterials Used in Medical Devices”. Erstellt wurde es vom „Scientific Committee on Emerging Newly Identified Health Risks” (SCENIHR) und datiert in der finalen Version vom 6. Januar 2015. Hier finden sich dann die Antworten für all das, was in der MDR nur kompakt wiedergegeben ist, auf umfangreichen 77 Seiten.

Bekannte Konzepte zur Biokompatibilität

Der risikobasierte Ansatz der Leitlinie orientiert sich an dem generellen Konzept zum Nachweis der Biokompatibilität gemäß ISO 10993-1. Es erfolgt die bekannte Kategorisierung der ISO 10993-1 nach Art des Körperkontakts und der Kontaktdauer. Dies wird kombiniert mit der physikalischen Verfügbarkeit des Nanomaterials. Liegt es frei vor, oder ist es schwach oder stark gebunden oder gar eingeschlossen? Am Ende werden abhängig von dem Ausmaß der möglichen Exposition und seiner Dauer die notwendigen toxikologischen Studien festgelegt. Schaut man sich die geforderten Untersuchungen an, so zeigt sich, dass bei niedriger und unbedeutender Exposition keine zusätzlichen nanospezifischen Tests erforderlich sind. Diese werden bereits durch die üblichen Tests zur Biokompatibilität nach der ISO 10993-Normenreihe abgedeckt.

Der Aufwand, den der Einsatz von Nanomaterial in Medizinprodukten spezifisch einfordert, kann daher sehr unterschiedlich sein. Besteht kein Risiko einer internen Exposition, so sind keine zusätzlichen Studien erforderlich. In vielen Fällen wird sich auch die Klassifizierung nicht ändern. Eine Darlegung des Sachverhaltes in einer Expositionsbewertung wird als Nachweis jedoch in jedem Fall erforderlich sein. Diapharm kann Ihnen hierbei behilflich sein. Sprechen Sie uns an!

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